Mikail Troppenz Redakteur und Pressereferent a. D.
Zeichen von Allâh
Bismillâhi Ar-Rahmâni Ar-Rahîm. Man kann sich sehr in Menschen täuschen. Zum Bösen wie zum Guten. Ich hätte ihn eher für einen recht praktischen, wenig an geistigen Dingen interessierten Mann gehalten, schon gar nicht für einen Romantiker. Doch als dieser stämmige, einfach gekleidete Orientale bei einem interreligiösen Gespräch im Hause der Islâmischen Gemeinschaft zu reden begann, hörten alle still und beeindruckt zu: „Meine Liebe zu Allâh ist grenzenlos. Er gibt uns doch deutliche Zeichen! Betrachte ich den Flug der Vögel, schaue ich zum Sternenhimmel hinauf, blicke ich meiner Frau in die Augen - dann bin ich zu Tränen gerührt über die Schönheit der Schöpfung Allâhs.” So steht es auch im Qurân: „Und auf der Erde gibt es Zeichen für die Überzeugten und (auch) in euch selbst. Seht ihr denn nicht?“ (Sûra 51:20-21)
Meine Wiedergeburt ereignete sich in Tunesien. Ich nenne es Wiedergeburt, weil wir doch alle zu Beginn unseres Lebens Muslime sind. Bis wir verbogen werden, bis uns eine irreführende Beschilderung in falsche Richtungen weist und wir den geraden Weg verlassen. Was mich betrifft, so wanderte ich orientierungslos durch zerklüftetes Gelände und hörte keinerlei Echo auf meine Rufe. Eine abwärtsweisende soziale Spirale kam hinzu. An der nächsten Weggabelung stellte sich wieder die Richtungsfrage: auf Gott zu oder von Gott weg? Hier muss ich einen Einschub machen. Wenn bei uns von „neuer Armut“ die Rede ist, dann stellt das eine Beleidigung aller Menschen dar, die wirklich arm sind. Deshalb glaube ich, dass Allâh meinen eigenen kleinen Schmerz nur gelindert hat, weil er mir das Herz mit dem Islâm füllen wollte, nicht deshalb, weil meine materielle und seelische Bedrängnis es erfordert hätte. Wen Allâh rechtleiten will, dem tut Er die Brust auf für den Islâm, heißt es im Qurân (Sûra 6:126).
Der Touristenbus holperte über schlechte Straßen am Meer entlang mitten hinein in den rotglühenden Sonnenuntergang. Wunderschönes Tunesien! Ich wusste nicht, dass die Gefängnisse voll sind mit politischen Gefangenen und bekennenden Glaubensbrüdern.
Jubiläum des Staatspräsidenten, überall sein übergroßes vergötterndes Bild, Nationalfähnchen. Aber ich dachte an etwas anderes: „Gott, wenn es Dich gibt, warum habe ich diese Reise bloß unternommen mit meinen letzten Groschen? Bald geht es wieder heim in die Plattenbauwohnung und auf die langen Flure des Arbeitsamtes mit all den grauen Gesichtern. Was bin ich noch wert für meine Familie, was bin ich mir selbst noch wert? Warum bekomme ich keine Antwort? Der Christenweg hat mich Dir nicht nahe gebracht, die nordischen Heidengötzen sind stumm. Wenn Dein Name Allâh ist und Du mir antwortest, dann habe ich den Weg des Glaubens gefunden.” Es war Freitag. Von seiner besonderen Bedeutung hatte ich keine Ahnung.
In meinen Bücherregalen gab es eine „Abteilung Religion”. Ein grüner Band trug den Titel „Der Koran - Das heilige Buch des Islâm”. Schon ziemlich lange stand dieses Buch ungelesen zwischen „Die Bibel hat doch recht” und „Die nichtchristlichen Religionen”. Vielleicht, dachte ich nach dem Rücksturz in die deutsche Kälte, finde ich in dieser Schrift schon die Antwort? Finde ich wenigstens eine Botschaft, die mir Mut macht? Kein Blättern, kein Suchen - ich schlug den Qurân auf, blickte auf die Mitte der linken Seite und las: „Sicherlich, über Allâhs Gefolgsleute soll keine Furcht kommen, noch sollen sie traurig sein, diejenigen, die glauben und gottesfürchtig sind. Für sie ist die frohe Botschaft im diesseitigen Leben und im Jenseits. Keine Abänderung gibt es für die Worte Allâhs. Das ist der großartige Erfolg.“ (Sûra 10:62-66). Und wie zum Trost für zu erwartendes Unverständnis wurde im nächsten Vers gleich versichert: „Ihre Worte sollen dich nicht traurig machen. Gewiss, alle Macht gehört Allâh. Er ist der Allhörende und Allwissende.“
Dann ging es Schlag auf Schlag. Zeichen auf Zeichen. Neue Ideen tauchten in meinem Kopf auf, ich sah Chancen auf dem Arbeitsmarkt, für die ich offenbar vorher blind war. Dabei lag alles so nahe! Die Botschaft des Qurân, Allâhs Wort, hatte mir tatsächlich Mut gemacht. Ich erfuhr genau das, was in dem Heftchen „Die fünf Säulen des Islâm” von Muhammad Ibn Ahmad Ibn Rassoul so formuliert ist: „Die Überzeugung von Allâhs Allmacht und unermesslicher Gnade gibt dem Menschen festes Vertrauen in Allâh, das ihn in keiner Situation mutlos werden oder gar verzweifeln lässt. Auch unter den widrigsten Umständen gibt ihm dieses Vertrauen Trost und Hoffnung, befreit ihn von Existenz- und Zukunftsangst und erfüllt ihn mit tiefer Zufriedenheit.” Die Zeichen Allâhs haben mein Leben verwandelt. Nicht, weil ich wieder in Lohn und Brot kam und für meine Familie gut sorgen konnte. Sondern weil ich weiß, dass es keinen Gott außer Allâh gibt und - so paradox es auch klingt - mich an Seiner Hand auf den Weg zu Ihm gemacht habe. Dass mir der Ritus eben Pflicht ist, aber mein bewegtes Herz ständig überfließt, soll niemanden wundern.
„Nach der (Erfüllung der) Verpflichtung gegenüber Allâh wird gefragt werden.“ (Sûra 33:16). Genau ein Jahr nach dem tunesischen Sonnenuntergang, wieder an einem Freitag, habe ich mein Versprechen eingelöst. Seither führe ich den islâmischen Namen Mikail. Ich erkannte die Problematik der Übersetzungen, erschrak über die Allâh erzürnende Gruppenbildung („[…] zu denjenigen, die ihre Religion spalteten und zu Lagern geworden sind, wobei jede Gruppierung froh ist über das, was sie bei sich hat.“ Sûra 30:32-33), erfuhr von Seiner unfassbaren Güte und Barmherzigkeit, und ich lernte viele wertvolle Menschen kennen, denen ich sonst nie begegnet wäre. Vor allem: Ich erlebe ununterbrochen das Gefühl totalen Gottvertrauens und absoluter Hingebung. Aber weil ich das unverlangt und aus tiefster Seele tue, bin ich ein freier Mensch vor dem gerechten, gütigen Gott. Was gibt es Schöneres?