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Ganz im Gegenteil freilich zu einem der starrsten Vorurteile gegenüber dem Islam spielt die arabische Toleranz sogar die entscheidende Rolle bei seiner Verbreitung. Nicht nur die christliche Geistlichkeit hatte so etwas nicht erwartet. Inzwischen sind zwölfhundert Jahre vergangen, aber das christliche Abendland hält bis heute in Wort und Schrift, in Zeitungen und Büchern, in der allgemeinen Meinung und der neusten Propaganda an dem Ammenmärchen fest, nach Mohammeds Tod hätten arabische Heere " den Islam mit Feuer und Schwert" vom Indus bis zum Atlantik verbreitet. Diese Formel ist in diesem Zusammenhang zum "geflügeltem Wort" geworden, obwohl sie jeder geschichtlichen Wahrheit und Wirklichkeit entbehren.
"Es soll kein Zwang im Glauben sein", lautet das verpflichtende Wort im heiligen Quran( Sure 2;256). Ziel und Sinn der Eroberungszüge durch arabische Heere war die Ausbreitung des Herrschaftsbereichs Gottes in der Welt- nicht des islamischen Glaubens! Im Gegenteil!
Die Christen sollten Christen, die Juden sollten Juden bleiben wie zuvor. Niemand hinderte sie und durfte sie an der Ausübung ihres Glaubens hindern. Niemand beeinträchtigte ihre Geistlichkeit, ihre Gotteshäuser, ihre Gottesdienste. Die neuen Herren über die neuen unterworfenen Völker erschwerten geradezu ihren Übertritt. Man brauchte ja ihre Steuern, die aber entfielen, sobald sie sich zum Islam bekannten.
Es waren die andersgläubigen- eben Christen, Juden, Sabier, Heiden- die von sich aus zum Islam, zum Bekenntnis und Kult der Sieger, ihrer neuen Herren drängten, mehr als diesen lieb sein konnte: die arabische Namen wählen, arabische Kleidung, arabische Sitten annahmen, die die arabische Sprache lernten, arabisch heirateten und die islamische Bekennerformel, die "schahada", nachsprachen. Die Faszination des arabischen Lebensstils, der arabischen Kultiviertheit, Vornehmheit, Eleganz und Schönheit- kurz, der eigentümliche Zauber der arabischen Kultur, nicht am wenigsten die Großmut und Duldsamkeit- sie übten eine unwiderstehliche Anziehungskraft aus.
Die christlichen Glaubenshirten in Andalusien bezeugten erbittert den Sog der arabischen Geistlichkeit, den die christlichen Schäflein allzu bereitwillig erlagen. Alvaro, Bischof von Cordoba, klagte in bewegten Worten:
" Viele meiner Glaubensgenossen lesen die Gedichte und Märchen der Araber, sie studieren, die Schriften der muslimischen Theologen und Philosophen, nicht um sie zu widerlegen, sondern um zu lernen, wie man sich auf korrekte und elegante Weise im Arabischen ausdrückt. Wo findet man heute einen Laien, der die lateinischen Kommentare über die heiligen Schriften liest? Wer unter ihnen studiert die Evangelien, die Propheten, die Apostel?
Ach, alle jungen Christen, die sich durch ihr Talent bemerkbar machen, kennen nur die Sprache und Literatur der Araber! Sie lesen und studieren aufs eifrigste die arabischen Bücher, legen sich mit enormen Kosten große Bibliotheken davon an und sprechen überall laut aus, diese Literatur sei bewundernswürdig! Redet man ihnen dagegen von christlichen Büchern, so antworten sie mit Geringschätzung, diese Bücher verdienten nicht ihre Beachtung! O Schmerz, die Christen haben sogar ihre Sprache vergessen, und unter Tausende von ihnen findet man kaum einen, der einen erträglichen lateinischen Brief zu schreiben versteht; dagegen wissen Unzählige, sich aufs eleganteste im Arabischen auszudrücken und Gedichte in dieser Sprache mit noch größerer Kunst als die Araber selbst zu verfassen"
Derselbe Zauber der arabischen Lebensart schlug noch die Kreuzfahrer im Orient in kurzer Zeit in seinen Bann. "Wir, die wir Abendländer waren, sind nun Orientalen geworden", meldete der Franzose Fulcher von Chartres stolz, überwältigt von dem fremden Reiz dieser von Farben und Düften betäubten Wunderwelt. Warum sollten sie in den ärmlichen Westen zurückkehren, nachdem " Gott das Abendland in das Morgenland verwandelt" hatte.
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